Ein erigierter Penis und eine feuchte Vagina sind eindeutige Zeichen des Verlangens nach Sex, oder? Die Nichtübereinstimmung der Erregung widerspricht dem!
Vielleicht hattet ihr auch schon den ein oder anderen Moment im Leben, in dem ihr vom Kopf her absolut bereit zum Sex wart, doch sich da unten leider nichts regen wollte, was auch nur annähernd auf ein Feuchtgebiet hätte schließen lassen können. Oder auch andersherum, vielleicht habt ihr auch schon einmal festgestellt, dass ihr, aus euch in dem Moment unerfindlichen Gründen, feucht wart, aber eigentlich gerade so gar keine Lust auf Sex hattet.
NICHTÜBEREINSTIMMUNG DER ERREGUNG
Keine Sorge, es ist dann nicht falsch, komisch oder kaputt. Dieses Phänomen hat einen etwas sperrigen Namen und nennt sich „Nichtübereinstimmung der Erregung“ (engl. arousal non-concordance). Es beschreibt die Tatsache, dass wir Menschen (und vor allem wir Frauen) physisch (Genitalien) und psychisch (emotional) einen unterschiedlichen Grad an sexueller Erregung aufweisen können. Sexualforscherin Emily Nagoski beschreibt dieses Phänomen in dem dazu passenden Ted Talk sehr gut und bezieht sich auf Studien der amerikanischen Forscherin Meredith Chivers.
In einer der durchgeführten Studien wurden Männern und Frauen verschiedene sexuelle Szenarien gezeigt, von heterosexuellen, homosexuellen und gewalt-involvierenden Pornos bis hin zum sexuellen Akt von Bonobos. Während der Durchführung der Studie sollten die Teilnehmer/innen ihr psychisches Erregungslevel angeben und gleichzeitig wurde die physische Erregung der Genitalien gemessen. Während Männer in der Regel eine Übereinstimmung der physischen und psychischen Erregung von 50% aufwiesen, waren es bei Frauen gerade mal 10% Übereinstimmung.
MÄNNER SIND SELEKTIVER
Zusätzlich war auch deutlich, dass Männer eher von den Pornos erregt wurden, die auch ihren eigenen sexuellen Präferenzen entsprechen (z. B. heterosexuelle Männer eher beim Sex heterosexueller Paare oder zweier Frauen). Frauen hingegen waren bei so gut wie jeder gezeigten Art des Sexes physisch erregt. Allerdings gaben sie gleichzeitig oft an, keine oder nur wenig (psychische) Erregung bei sich selbst wahrzunehmen. Es kann also sein, dass die Vagina der Frau feucht wird, weil sie (ihr Köper) einen Trigger im Alltag als deutlich sexuell relevante Information wahrnimmt. Was aber nicht bedeutet, dass sie auch bereit für Sex ist oder das Verlangen danach hat. Anders herum kann es aber auch sein, dass der Kopf bereit ist, der Körper aber noch nicht.
Liebevoller mit uns selbst umgehen und die Botschaft raus in die Welt tragen! Erregung ist nicht gleich Verlangen!
Soweit die wissenschaftliche Annäherung an das Thema „Nichtübereinstimmung der Erregung“. Aber was bedeutet das im Alltag? Liebevoller mit uns selbst umgehen und die Botschaft raus in die Welt tragen! Erregung ist nicht gleich Verlangen!
Die Relevanz für unseren Alltag lässt sich von zwei Seiten betrachten. Denn vielleicht kennt ihr diesen Moment, wenn ihr eigentlich schon richtig heiß seid, euch total bereit für den Sex fühlt und euer/eure Partner*in sich gerade den Weg in eure Unterhose bahnt. Der Moment in dem ihr die Finger eures/eurer Partner*in an eurer Vulva spürt und gleichzeitig auch spürt, dass dort unten gerade eher Wüste als Feuchtgebiet herrscht. Und dann gibt es oft diese Millisekunde der Unsicherheit, auf beiden Seiten. Der/die Partner*in denkt vielleicht „Warum ist sie noch nicht feucht? Will sie doch nicht?“ und ihr selbst habt vielleicht ein „Shit, was ist da denn los? Ich bin doch geil!“ im Kopf. Ab heute, könnt ihr euch in einem solchen Moment einfach entspannen, zum Gleitgel greifen und bei komischen Blicken auf oben genannte Studien verweisen!
DIE GEFAHR DER FEHLINTERPRETATION
Allerding kann die andere Seite dieses Phänomens auch gefährlich sein. Nämlich dann, wenn eine Frau sich einer Situation ausgesetzt fühlt, in der sie definitiv keine Lust empfindet, ihr Körper aber vermeintliche Lust signalisiert, weil ihre Vagina feucht wird. So ist der Satz „Ich merke doch, dass es dir gefällt“ mehr als fehl am Platz, wenn eine Frau verbal signalisiert keinen Spaß an der Situation zu haben. Im schlimmsten Falle kann es eben auch bei einer Vergewaltigung sein, dass der Mann denkt, die Frau hätte Spaß, da sie ja feucht ist. Dem entsprechend ist eine feuchte Vagina also nicht das Einverständnis zum Geschlechtsverkehr!
WORAN ERKENNT IHR DANN, WAS FRAU WIRKLICH WILL?
Am Ende ist es doch wieder die verbale Kommunikation, die jeden Zweifel aus dem Weg räumen kann. Vorausgesetzt, dass die Frau ehrlich sagt, was sie fühlt und möchte. Fragen ist also besser als annehmen und der selbstbestimmte Griff zum Gleitgel im Zweifel die Antwort, die der*die Partner*in in dem Moment braucht. Und Gleitgel ist sowieso immer eine gute Idee!
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